
Wieso belastet?– Lehrkräfte haben doch vormittags Recht und dann nachmittags frei... oder?
Wie viele Stunden arbeiten Lehrkräfte wirklich? Welche systemischen Stolpersteine erschweren den Schulalltag? Und welche realistischen Lösungsansätze bietet die Bildungsforschung?
Dieser Blogartikel nimmt Sie mit auf eine Reise durch die wichtigsten Studien, Praxisbeispiele und Zukunftsperspektiven rund um das Thema Lehrerarbeitszeit im Jahr 2025. Gleichzeitig möchte er Ihnen Mut machen und Impulse geben, wie Sie Ihren Alltag selbstbestimmt gestalten und weiterentwickeln können – unabhängig davon, ob Sie weiter im System Schule bleiben oder möglicherweise neue Wege einschlagen möchten.
1. Die "klassische" Sicht auf die Arbeitszeit von Lehrkräften – und warum sie nicht mehr funktioniert
Noch immer geistert nicht selten folgendes Vorurteil durch die Köpfe:
„Lehrerinnen und Lehrer haben doch vormittags recht und nachmittags frei.“
Mittlerweile sind wir da schon etwas weiter, aber die dahinterstehende Haltung, dass Lehrkräfte eher zu wenig als zu viel arbeiten, findet sich in vielen gesellschaftlichen Debatten in veränderter Form dennoch häufig wieder. Das traditionelle Pflichtstundenmodell, das lediglich Unterrichtsstunden erfasst, greift für eine solche Bewertung als Grundlage inzwischen deutlich zu kurz, wie u.a. die aktuelle Berliner Arbeitszeitstudie 2023/2024 der Universität Göttingen zeigt.
Was sich verändert hat
1. Zunahme administrativer Aufgaben
Pädagogische Tätigkeiten allein definieren längst nicht mehr den Alltag. Dokumentationspflichten, Elterngespräche, Konferenzen, schulinterne Evaluationen und fortwährende Qualitätssicherungsprozesse usw. beanspruchen immer mehr Zeit.
2. Differenzierte Schüler:innengruppen
In vielen Regionen ist die Heterogenität in den Klassen stark gestiegen – sei es durch Inklusion, Migration oder variierende und auch starkauseinanderdriftende Lernstände. Damit wächst der Bedarf an individualisierter Förderung, was einen deutlichen Mehraufwand an Vor- und Nachbereitung erfordert.
3. Technologische Veränderungen
Digitale Plattformen für Unterricht und Kommunikation, Lern-Apps und Online-Klassenbücher sind zwar hilfreich, erhöhen aber auch die Dauer der „Erreichbarkeit“ und erzeugen einen kontinuierlichen Schul-Flow – oft weit über den Nachmittag hinaus.
Die Studie „Digitalisierung im Schulsystem 2021“ unterstreicht diese Punkte und zeigt, dass im Schnitt gerade einmal 35% der Arbeitszeit reiner Unterrichtstätigkeit zugerechnet wird. Der Rest verteilt sich auf Vor- und Nachbereitung, Konferenzen, Beratungsgespräche, Verwaltungs- und Organisationsaufgaben usw..
2. Ein Blick in den Schulalltag: Wo die Zeit wirklich bleibt
Lehrkräfte arbeiten oft 48 oder gar 50 Stunden pro Woche. Um zu begreifen, wie das zu Stande kommt, braucht es einen genaueren Blick in ihren Arbeitsalltag. Statt abstrakter Statistiken helfen hier Fallbeispiele, wie sie in der Berliner Arbeitszeitstudie 2023/2024 der Universität Göttingen zusammengetragen wurden.
Fallbeispiel „Frau M.“
Frau M. unterrichtet seit fünf Jahren Englisch und Deutsch an einer urbanen Gesamtschule. Je nach Stundenplan verbringt sie sechs Unterrichtsstunden hintereinander im Präsenzunterricht. In jeder Pause: kurze Problemlösungen (Absprachen mit Schüler:innen, Gespräche mit Kolleg:innen, Organisatorisches, die Schulleitung möchte auch noch irgendwas).
Ab 14 Uhr beginnt, wenn kein Nachmittagsunterricht stattfindet, der vermeintlich „freie“ Nachmittag – doch wer denkt, jetzt sei Feierabend, irrt. Frau M. korrigiert bis in den späten Nachmittag die neuesten Klausuren.
Anschließend bereitet sie noch eine Unterrichtseinheit vor und plant eine digitale Projektarbeit für Ihre 7b. Jeden zweiten Dienstag leitet sie zudem eine Schul-AG und gibt zweimal im Monat zusätzlich Deutschunterricht für die neu an die Schule gekommenen Kinder aus der Ukraine und Syrien.
Gegen 20 Uhr, wenn endlich Ruhe einkehrt, setzt sie sich oftmals noch kurz an den Laptop, um Mails zu beantworten und die Inhalte der schulinternen Lernplattform zu aktualisieren.
Gemeinsame Muster
Die Berliner Arbeitszeitstudie 2023/2024 hat herausgearbeitet, dass 85% aller in der Studie betrachteten Lehrkräfte ähnliche Muster aufweisen. Die höchste Belastung entfällt keineswegs nur auf den Unterricht; gerade die administrativen und unterrichtsfernen Tätigkeiten fressen erhebliche Zeitressourcen.
Wichtige Erkenntnisse aus diesem Forschungsstrang:
Lehrkräfte planen ihren Tag hochstrukturiert und sind in der Regel sehr professionell organisiert.
Die Erreichbarkeit und das ständige „On-Sein“ bringen eine Entgrenzung zwischen Beruf und Privatleben mit sich.
Lernfortschrittserfassung, Förderpläne und Elterngespräche sind wichtige Elemente der Schulkultur, es fehlt jedoch oft an entsprechenden Ressourcen und Zeitkontingenten für eine befriedigende Umsetzung.
3. Systemische Herausforderungen als Kern des Problems
In vielen Diskussionen wird suggeriert, Lehrkräfte könnten ihr Zeitproblem durch „besseres Zeitmanagement“ lösen. Doch die Expertise „Lehrkräftearbeitszeit unter Druck“ der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2024 hält klar fest, dass die entscheidenden Stellschrauben vor allem im System selbst liegen und weniger bei der individuellen Kompetenz oder Motivation.
1. Politische Vorgaben und Reformen
Regelmäßige Bildungsreformen, neue Richtlinien und Kampagnen (etwa zur Digitalisierung oder Inklusion) kommen oft ohne entsprechende personelle und materielle Ressourcen in den Schulen an.
2. Fehlende Unterstützungssysteme
Viele Schulen verfügen nicht über ausreichendes administratives Personal, sodass Lehrkräfte zusätzlich organisatorische Aufgaben übernehmen müssen. Beispielsweise liefen in Niedersachsen zum Ende des Jahres 2024 die Verträge von rund 2.400 pädagogischen Mitarbeiterinnen aus, die ursprünglich zur Bewältigung der Corona-Folgen eingestellt wurden. Dieser Verlust führt zu einer zusätzlichen Arbeitsbelastung für das verbleibende Personal und beeinträchtigt die pädagogische Betreuung der Schülerinnen erheblich.
3. Unzureichende Arbeitszeiterfassung
Die tatsächliche Arbeitszeit von Lehrkräften wird oft nicht systematisch erfasst, was zu einer Verzerrung des tatsächlichen Arbeitsaufwands führt. In Baden-Württemberg ist beispielsweise die Einführung einer Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte derzeit nicht geplant, was die Transparenz über die geleistete Arbeit erschwert.
Diese systemischen Herausforderungen tragen maßgeblich zur Überlastung von Lehrkräften bei und erfordern strukturelle Veränderungen, um die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern.
4. Aktuelle Pilotprojekte zur Entlastung von Lehrkräften
Jahresarbeitszeitmodell mit digitaler Zeiterfassung
Die Einführung eines Jahresarbeitszeitmodells mit digitaler Zeiterfassung ermöglicht es Lehrkräften, ihre Arbeitszeiten flexibel zu gestalten und Überlastungsphasen besser auszugleichen. Eine Expertise der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2024 empfiehlt die Implementierung solcher Systeme, um die tatsächliche Arbeitsbelastung transparent zu machen und rechtliche Vorgaben einzuhalten. Pilotprojekte in Bundesländern wie Hamburg und Sachsen testen derzeit die praktische Umsetzung und Akzeptanz digitaler Zeiterfassungssysteme im Schulalltag.
Multiprofessionelle Teams
Der Einsatz von multiprofessionellen Teams, bestehend aus Lehrkräften, Sozialarbeitern, IT-Fachkräften und weiteren Spezialisten, trägt dazu bei, die vielfältigen Anforderungen im Schulalltag besser zu bewältigen. Eine repräsentative Befragung von Schulleitungen im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung aus dem Jahr 2023 zeigt, dass die Zusammenarbeit in solchen Teams von der Mehrheit als entlastend wahrgenommen wird. Durch die Integration zusätzlicher Fachkräfte können Lehrkräfte sich verstärkt auf ihre pädagogischen Kernaufgaben konzentrieren, während andere Professionen administrative und unterstützende Tätigkeiten übernehmen.
Delegation administrativer Aufgaben
Die Übertragung administrativer Aufgaben an nicht-pädagogisches Personal kann die Arbeitsbelastung von Lehrkräften signifikant reduzieren. Ein Modellprojekt in Nordrhein-Westfalen zwischen 2009 und 2011 zeigte bereits, dass durch den Einsatz von Schulverwaltungsassistenten die Verwaltungsabläufe professionalisiert und Lehrkräfte nachhaltig von Büroarbeit entlastet wurden. Aktuelle Diskussionen und Forderungen von Bildungsgewerkschaften betonen die Notwendigkeit, solche Unterstützungsstrukturen flächendeckend einzuführen, um Lehrkräfte von bürokratischen Aufgaben zu befreien und ihnen mehr Zeit für die direkte pädagogische Arbeit zu ermöglichen.
Diese Pilotprojekte und Studien bieten wertvolle Einblicke in mögliche Strategien zur Entlastung von Lehrkräften und könnten als Grundlage für zukünftige Reformen im Bildungswesen dienen.
5. Praktische Schritte zur Selbstentlastung
Dokumentieren
Führen Sie ein einfaches Stunden-Protokoll oder nutzen Sie digitale Tools, um Ihre tatsächliche Zeitinvestition zu belegen. Nur so wird Ihre Mehrarbeit sichtbar und verhandelbar.
Abgrenzen
Vereinbaren Sie mit Kolleg:innen, Eltern und Schüler:innen klare Regeln für E-Mail- und Messenger-Zeiten. Ständige digitale Erreichbarkeit treibt die Entgrenzung voran.
Zusammenarbeit aktivieren
Obwohl an den meisten Schulen bereits Jahrgangs- oder Fachteams existieren, bleibt echte Kooperation – wie gemeinsames Planen, Reflektieren und Materialerstellen – oft auf der Strecke. Das Forschungsprojekt CoMMIT (2018–2021) zeigt, dass viele Teams sich hauptsächlich auf organisatorische Fragen konzentrieren. Dort, wo jedoch verbindlich an gemeinsamem Unterricht gearbeitet wird, erfahren Lehrkräfte eine spürbare Entlastung: Mehrere Personen teilen sich die Vor- und Nachbereitung, was die Qualität des Unterrichts steigert. So verlassen Lehrkräfte die typische „Einzelkämpfer“-Rolle und erleben echte Unterstützung im Kollegium.
Fazit: Ein schwieriges System – und Lehrkräfte am Limit
Viele Lehrkräfte wissen längst, dass es konkrete Wege aus der Überlastung geben könnte – etwa durch bessere Verteilung von Aufgaben, stärkere Kooperation im Kollegium oder klarere Abgrenzungen. Doch das System ist komplex, Reformen sind langwierig und erschöpfte Lehrerinnen und Lehrer haben nicht immer die Kraft, die nötigen Veränderungen anzustoßen oder durchzuhalten.
Gerade dann, wenn Sie innerlich spüren, dass etwas „nicht mehr passt“, sind Orientierung und Unterstützung essenziell. Denn die Frage ist nicht nur, wie Sie den alltäglichen Druck reduzieren können, sondern oft auch, ob Sie Ihren Beruf generell und unter diesen Bedingungen weiter ausüben möchten. Und wenn ja – wie bleiben (oder werden) Sie dabei gesund und finden den Sinn in Ihrer Arbeit wieder? Wenn nein – wie könnte eine Alternative aussehen und wie können Sie diesen nächsten Schritt meistern?
Individuelles Coaching: Klarheit gewinnen, gesunde Perspektiven finden
In meinem Coaching geht es genau um solche Richtungsentscheidungen. Gemeinsam schauen wir hin:
Bleiben: Wie können Sie sich in Ihrem Beruf neu aufstellen, um Ihre Gesundheit und Lebensfreude zu bewahren?
Loslassen: Wenn Sie einen Neuanfang in Betracht ziehen, wie könnte ein Wechsel sinnvoll gestaltet werden?
Dieser professionell strukturierte Prozess zielt darauf ab, Ihre Resilienz zu stärken und Ihre berufliche Zufriedenheit nachhaltig zu erhöhen. Es ist kein schneller „5-Schritte-Plan“, sondern ein persönlicher Weg, in dem Sie Klarheit über Ihre Bedürfnisse, Ziele und realistische Optionen gewinnen – stimmig für Sie.
Wenn Sie bereit sind, diesen Weg zu gehen, stehe ich Ihnen gerne zur Seite.